Higgs-Theorie „zu schön, um falsch zu sein“

Higgs-Theorie „zu schön, um falsch zu sein“

Er ist 30 Jahre jung, Doktor der Physik und beteiligt gewesen an der Entdeckung des weltberühmten Higgs-Teilchens. Über seine Arbeit am europäischen Kernforschungsinstitut Cern haben wir mit Dr. Hendrik Esch in seiner Püsselbürener Heimat gesprochen.

PÜSSELBÜREN.
Das europäische Kernforschungsinstitut Cern assoziiert so manche Leseratte mit einer verheerenden Bombe aus Antimaterie. „Völliger Quatsch“, der in dem Bestseller „Illuminati“ beschrieben wird, sagt Dr. Hendrik Esch (30). Der Püsselbürener Teilchenphysiker hat an der Entdeckung des Higgs-Teilchens am Cern mitgewirkt. Was die Wissenschaftler an dem Institut wirklich tun? „Wir werfen Spaghetti an die Wand und gucken, was hängen bleibt.

Was der sympathische Physiker damit sagen will: „Wir forschen in der experimentellen Physik. Oft weiß man gar nicht, was letztlich bei den Versuchen heraus kommt. Die Quantenmechanik gibt lediglich Wahrscheinlichkeiten an“, sagt der Püsselbürener. In der Praxis sieht das so aus: Ganz viele Wissenschaftler beobachten am Computer, wie zwei Protonenstrahlen im Teilchenbeschleuniger aufeinandertreffen. Der Beschleuniger liegt übrigens 100 Meter unter der Erde und hat die Größe einer Kathedrale – eine beeindruckende Tatsache, die Esch beiläufig erwähnt. Im Aufeinandertreffen der Strahlen jedenfalls entsteht etwas Neues – wie das berühmte Higgs-Teilchen – oder es passiert einfach nix („wenn Protonen salopp gesagt aneinander vorbeifliegen, ohne zu kollidieren“).

Was so kompliziert klingt, nennen Esch und seine Kollegen physikalische Grundlagenforschung. „Woraus bestehen wir? Was hält uns zusammen“, stellt der 30-Jährige faustische Fragen. Mit 3000 Physikern auf der ganzen Welt forschte er an Phänomenen, die noch nicht erklärt werden können. Der Beweis, dass es das Higgs-Teilchen – vor allem das Higgs-Feld – gibt, war eines davon. „Das Higgs-Feld umfasst das ganze Universum. Es erklärt, was Masse ist, wieso Masse existiert“, sagt Hendrik Esch. Zwar hatte der Nobelpreisträger Peter Higgs in einer Publikation bereits 1964 die theoretische Erklärung geliefert. Der Nachweis aber gelang den Physikern erst 2012. Esch hatte daran teil, indem er über einen Zeitraum von anderthalb Jahren eine Messung beigetragen hat, die Bestandteil seiner Doktorarbeit war. „Die Arbeiten laufen alle parallel. Wir haben zu den anderen Wissenschaftlern aus Pittsburgh, Stockholm und Genua über Telefonkonferenzen Kontakt gehalten“, erzählt der Püsselbürener. Als die Theorie schließlich bewiesen wurde, war er jedoch nicht überrascht. An die Theorie von Peter Higgs hatte er sowieso geglaubt. „Das war zu schön, um falsch zu sein“, begründet er seine Überzeugung und lächelt. Das ist es, was er liebt an der Physik: Sie erklärt die Welt.

Dr. Hendrik Esch beschäftigt sich mit Teilchenphysik. Auf dem Bild sieht man den Teilchendetektor „Atlas“ am europäischen Kernforschungszentrum Cern. Mit dieser gewaltigen Maschine haben Esch und seine Kollegen das Higgs-Teilchen nachgewiesen. Woher diese Liebe zur Naturwissenschaft kommt, weiß Esch gar nicht genau: „Meine Oma sagt immer: Ik wees garnich, wo de dat von hef.“ Aber das Talent zeigte sich früh. Am Goethe-Gymnasium hat er Physik und Mathe bevorzugt. Vor allem sein Lehrer Ralf Cyrus hat ihn für die Fächer begeistert.Nach dem Abi und seinem Zivildienst im Haus St. Hedwig zog es Esch an die Dortmunder Uni. Was er werden wollte, wusste er nicht. Nur eins: Es muss das Physikstudium sein! Den Schock, aus dem schönen Elternhaus in eine Vierer-„Herren-WG“ zu ziehen, hatte er schnell überwunden. Direkt im ersten Semester lernte der junge Mann seine jetzige Ehefrau kennen (sie promoviert zurzeit), die ebenfalls Physik studierte und mit ihm in derselben Lerngruppe paukte. Esch erinnert sich schmunzelnd daran zurück: „Wir haben uns jeden Tag gesehen und fanden uns total uninteressant.“ Fünf Semester haben die beiden gebraucht, um zu merken, dass sie täglich Kopf an Kopf mit der großen Liebe büffeln. Sieben Jahre sind sie ein Paar. Im vergangenen Jahr heirateten sie in der Mauritiuskirche, in den Flitterwochen ging’s nach Mexiko.Der Doktor ist in der Tasche, bald wird auch Eschs Frau promoviert sein. Was dann? „Eine wissenschaftliche Laufbahn habe ich ausgeschlossen“, denn an den Unis gibt es fast nur Zeitverträge. Vermutlich lande er in der Wirtschaft. Datenanalyse, das wär’ was für ihn. Am liebsten würde er im Dortmunder Raum bleiben. Dann hätte er es auch nicht so weit nach Hause.Die Existenz der Masse und das böse WortEsch erklärt Higgs-Teilchen und -Feld so: „Das Feld kann man sich vorstellen, wie ein Schwimmbad. Erst durch den Widerstand des Wassers macht sich die Masse der Schwimmenden bemerkbar. Das Higgs-Teilchen ist wie eine Welle im Bad. Das Feld hingegen, in diesem Beispiel das Wasser, ist das eigentlich interessante. Dieses Feld umfasst das gesamte Universum. In der Wechselwirkung mit dem Feld (dem Wasserwiderstand beim Schwimmen) erhält jegliche Materie erst ihre Masse.“Das Higgs-Teilchen wird landläufig auch gern als „Gottesteilchen“ bezeichnet. Wenn sie diesen Begriff hören, verziehen die meisten Physiker allerdings das Gesicht. Denn obwohl es oft in den Medien so genannt wird, hat das Higgs-Teilchen überhaupt nichts mit Gott oder Religion zu tun, erklärt Esch: „Ein Physiker wollte sein Buch über die schwierige Suche nach dem Higgs-Teilchen ,Das gottverdammte Teilchen’ nennen. Der Verleger machte das Gottesteilchen daraus.“

Quelle: IVZ