Der „dritte Pädagoge“ wird mehr beachtet

Der „dritte Pädagoge“ wird mehr beachtet

Der Lernraum hat Einfluss auf den Lernerfolg der Schüler und ist nach dem Erziehungswissenschaftler Loris Malaguzzi der „dritte Pädagoge“. Das Goethe-Gymnasium erprobt das Lehrerraumkonzept nun für eineinhalb Jahre.

Fast wie zu Hause – Bilderrahmen, bunte Schachteln und Figuren und ein Plüschtier auf dem Ikearegal. So sieht ein Klassenraum im Goethe-Gymnasium aus, seit dort das Lehrerraumkonzept erprobt wird. Ein Raum mit guter Atmosphäre soll zum Lernerfolg beitragen. Schulleiter Andreas Tangen ist davon überzeugt.

IBBENBÜREN. Plüschschaf und Quietsche-Ente auf dem Ikearegal? Im Goethe-Gymnasium findet sich das neben Fotorahmen und weiterem Nippes in einem der Klassenräume. Sauber und ordentlich präsentiert sich der Raum, in dem Goethe-Gymnasiasten Spanisch lernen. Davon zeugt die große Karte an der Wand, die die Länder zeigt, in denen Spanisch gesprochen wird.

So anheimelnd und freundlich wirkte der Raum nicht immer. Das Lehrerraumkonzept, das am Goethe-Gymnasium neuerdings für eineinhalb Jahre ausprobiert wird, macht es möglich. Die Spanischlehrerin hat „ihrem“ Klassenraum ein Gesicht gegeben.

Wo sich bislang niemand für die Räume verantwortlich fühlte, weder Schüler noch Lehrer („nur der Hausmeister“), da ist jetzt jeder der 34 Klassenräume einem Lehrer zugeordnet. Dabei habe man sich konzentriert auf die Klassenlehrer und diejenigen Lehrer, die viel in Klassen unterrichten. Für die Naturwissenschaften würden ohnehin die Fachräume benutzt. Nicht die Lehrer wandern mehr in den Pausen von Klasse zu Klasse, sondern die Schüler wandern von einem Lehrerraum zum anderen.

Wie und ob das alles am Ende gut funktioniert, „das probieren wir gerade aus“, so Tangen. Eineinhalb Jahre gebe man sich für die Probephase, weil eine kürzere Zeit keinen Sinn mache. „Für ein halbes Jahr investiert niemand in einen Raum“.

Während es an Grundschulen ohnehin, aber auch an vielen Realschulen (zum Beispiel Anne-Frank-Realschule und Ketteler-Realschule Hopsten) schon lange das Lehrerraumprinzip gebe, sei es an Gymnasien noch relativ selten.

So habe man sich im Vorfeld an einem Gymnasium in Düsseldorf über das Thema informiert. Das sei eine Schule gewesen, die – wie das Goethe-Gymnasium – das Problem habe, mit zum Teil recht kleinen Räumen zurechtkommen zu müssen.

Damit das möglich ist, wurden am Goethe-Gymnasium die Etagen der Schule jeweils einem Fach zugeordnet, sodass die Fachlehrer alle benachbart sind und, wenn sie einmal eine größere Gruppe haben, kurzfristig untereinander den Raum tauschen können.

Die ersten Erfahrungen mit dem seit einem Monat laufenden Konzept bewertet Andreas Tangen positiv. Die Eltern hätten sich zunächst Sorgen gemacht, die Schüler müssten dann ihre Bücher immer mitschleppen, die Schultaschen würden zu schwer. Aber bei seinem allmorgendlichen Rundgang durch die Schule habe er bislang keinen Schüler angetroffen, der mehr als drei Bücher dabei habe. Und das auch nur, wenn sie zum Beispiel zwischen den Unterrichtsstunden Hausaufgaben erledigen wollen. Für den Unterricht brauchen sie kein Buch mehr mitzuschleppen. „Es wurden für 18 000 Euro Klassensätze für jedes Fach angeschafft.“ Es sei (bei einer Ausnahme) mindestens pro Klasse ein halber Klassensatz vorhanden. Der Schulträger (Stadt Ibbenbüren) habe das mit 20 000 Euro unterstützt, unter anderem für die Anschaffung abschließbarer Schränke. Und es seien Ikea-Regale angeschafft worden als Lagerplatz für verschiedenste Arbeitsmaterialien. Auch technisch sollen die Klassen noch besser ausgerüstet werden.

Die Befürchtung, dass in den Pausen wegen zu großer Schülerströme Chaos entstehen könnte, hat sich laut Tangen nicht bestätigt. Betrieb sei auf den Fluren, aber kein Chaos. „Für die Schüler geht die Fünf-Minuten-Pause mit Bewegung drauf.“ Unterhalten könnten sie sich auch im Gehen.

Gecheckt wurde vor Versuchsstart auch, ob man genügend Schließfächer für die Schüler unterbringen könnte. Bislang gibt es nur 60 Schließfächer in der Schule. Bei Bedarf könnten 200 dazu kommen. Das könne man auf den Fluren realisieren.

Bessere Umgebung hilft Schülern

„Der Raum ist der dritte Pädagoge.“ Diesen Satz prägte der norditalienische Erziehungswissenschaftler Loris Malaguzzi (1920-1994). Er verbreitete die Auffassung, die Mitschüler seien der erste, der Lehrer nur der zweite Pädagoge, gleich gefolgt vom Raum.
„Schon seit mehr als zehn Jahren haben wir darüber nachgedacht“, sagt Schulleiter Andreas Tangen. „Aber wir waren immer überfüllt. Nachdem der Doppeljahrgang (durch Umstellung von G9 auf G8) passé war, sank die Schülerzahl wieder. Das bot Gelegenheit, es endlich zu versuchen. Und Tangen beugt einem Missverständnis vor: Es gehe nicht darum, dass es der Lehrer möglichst gemütlich hat, sondern darum, dass Schüler in besseren Räumen lernen können. Der Lernraum als der sogenannte „dritte Pädagoge“ sei in Deutschland lange unterschätzt worden, ganz anders als zum Beispiel in Dänemark. Es sei schon lange nachgewiesen, dass die Lernumgebung wichtig sei für den Lernerfolg. Immer häufiger ist in den letzten Jahren von diesem „dritten Lehrer“ die Rede, wenn es um Bau und Gestaltung von Schule geht. Nicht zuletzt befeuert von der Tatsache, dass Schule durch den Ganztag noch umfassender zum Lebensraum der Schüler geworden ist.

Quelle: IVZ