G8 würde heute nicht mehr eingeführt

G8 würde heute nicht mehr eingeführt

1000 Gäste feierten am vergangenen Samstag im Kepler-Gymnasium das Abitur, rund 1200 werden es am Samstag am Goethe-Gymnasium sein. Starke Jahrgänge, weil G8 und G9 – Abitur nach acht und nach neun Jahren – zusammen feierten. In einem Gespräch ziehen die beiden Schulleiter Bilanz.

IBBENBÜREN. 1000 Gäste feierten am vergangenen Samstag im Kepler-Gymnasium das Abitur (204 Abiturienten), rund 1200 werden es am Samstag am Goethe-Gymnasium sein (275 Abiturienten). Starke Jahrgänge, weil G8 und G9 – Abitur nach acht und nach neun Jahren – zusammen feierten. In einem Gespräch ziehen die beiden Schulleiter, Andreas Tangen und PaulGeorg Weiser, Bilanz

Wer war besser? Die Schüler aus G8 oder G9?

Weiser: G8 hat G9 leicht übertroffen. Das ist nicht nur an unserer Schule so, sondern auch an Schulen in anderen Bundesländern. Woher kommt das? Die Gründe kann man nur vermuten. Ich vermute mal, dass für G8 ein besonderer Ansporn da war.

Tangen: Bei uns ist übrigens G8 nicht besser als G9, sondern auf die hundertstel Note gleich. Wir hatten erst vermutet, dass G8 besser ist. Denn die Schüler, die 1,0 haben, kommen alle aus G8. Das sind vier. Und von denjenigen, die nach den schriftlichen Prüfungen in die Nachprüfung mussten – das waren neun – kamen acht aus G9. Zudem ist keiner aus G8 durchgefallen. Das ist schon interessant.

Wie sieht es am Kepler aus?

Weiser: Vier Mal 1,0 – alle G8. Vier Mal 1,1 – alle G9. Aber was soll ich davon halten. Die Populationsgröße ist viel zu gering, um statistisch zuverlässige Aussagen zu treffen. G8 hatte einen Notendurchschnitt von 2,33 und G9 von 2,39.

Wurde G8 besser gefördert?

Tangen: Ja, sie haben wesentlich mehr Förderung durch Förderunterricht gehabt. Die G8er haben sich vom ersten Tag an sehr angestrengt. Sie waren in einer sehr unsicheren Situation damals. Es gab keine Lehrbücher, die Lehrpläne und Richtlinien waren noch nicht fertig, die Lehrer waren verunsichert. Die Schüler hatten die ganze Zeit den Druck: Werden wir so gut sein, wie die, die ein Jahr Vorsprung haben? Dieser Druck hat zu einer starken Fokussierung geführt.

Drei Jahre vor dem Abitur haben Sie dann alle Schüler zusammengefasst. Was ist Ihnen aufgefallen?

Tangen: Allein vom Alter gab es Riesenunterschiede. Der Jüngste bei uns war 17, der Älteste 20. Wenn jemand mit 15 in die Oberstufe kommt, das ist was anderes, als wenn er 17 ist. Da liegen Welten zwischen.

Weiser: Bei uns war der Jüngste noch 16, der Älteste 21. Für mich sind die unterschiedlichen Lern- und Reifevoraussetzungen sehr deutlich geworden, beispielsweise in einem Fach wie Geschichte. Das sieht man an der Reflexionsfähigkeit. Deutsch ist auch so ein Beispiel. Der Stoff wird nicht mehr so durchdrungen, wie es mit G9 möglich war.

Tangen: Mathematiker beklagen das auch. Für die Masse der Schüler ist zu wenig Zeit, vertiefend zu üben.

Weiser: Die Fähigkeit zu rechnen geht massiv zurück. Die einfachsten Aufgaben geben die Schüler in den Rechner ein. Die Vorstellungskraft bleibt auf der Strecke. Und das trifft auch fürs Schreiben zu.

Den G8ern fehlt die Reife?

Tangen: Ein Jahr fehlt. Wir hatten neun Jahre Zeit, Allgemeinbildung zu vermitteln. Indem man da einfach ein Jahr herausnimmt, wird das beeinträchtigt. Bei zentralen Prüfungen ist die Messbarkeit zentral – Breite ist leichter messbar als Tiefe.

Leidet mit G8 das Niveau?

Weiser: Mehr Abiturienten erreichen ihr Ziel, mehr Schüler machen Abitur. Das hat aber nichts mit G8 zu tun, sondern mit dem gesellschaftlichen Wandel. Schwierig wird’s, einer Bezirksregierung oder einem Ministerium klarzumachen, dass sie in ihrem Anspruch kontinuierlich runtergehen, damit sie eine erfolgreiche Bildung nachweisen können.

Tangen: Wobei wir das natürlich nicht nachweisen können. Es ist einfach eine gefühlte Aussage.

Weiser: Ja, das resultiert aus 30 Jahren und mehr Unterrichtserfahrung. Wir können da schon was dazu sagen. Ob man es bemessen kann, ist eine andere Frage.

Tangen: Ich glaube, dass bei vielen Lehrkräften, die früher ihre Abiturvorschläge selber machen mussten, die Ansprüche höher waren, als sie heute beim Zentralabitur sind. Weil das Zentralabitur ja auch Vorschläge machen muss, die für alle Unterrichtsformen, -stile und Lernniveaus passen. Die Verallgemeinerung geht auf Kosten der Tiefe. Das ist der subjektive Eindruck.

Würde heute G8 noch eingeführt?

Tangen: Wenn heute in NRW noch mal entschieden würde, würde G8 nicht noch einmal eingeführt. Durch die Abschaffung der Bundeswehr und die Reform der Studiengänge haben die Leute, wenn sie zügig studieren, mit 20/21 Jahren ihren Bachelor, mit 23 sind sie fertig. Das ist doch nicht notwendig und nicht sinnvoll.

Weiser: Und der Vergleich mit dem europäischen Ausland hinkt, wenn man mal genau hinschaut. Unsere Studenten können schon früh fertig sein.

Sabine Plake - Ibbenbürener Volkszeitung vom 06.07.2013