Großer Bruder, englischer Cousin

Großer Bruder, englischer Cousin

Der Londoner Student Connor Godsall (20) probiert sich als Deutschlehrer am Goethe-Gymnasium

London/Ibbenbüren. Bei "Fehlverhalten" müssen sie in den Ferien nachsitzen; in der großen Pause dürfen sie nicht rennen; und sie müssen sich vorschreiben lassen, was sie in der Schule anziehen - mit den britischen Schulregeln ist Connor Godsall (20) groß geworden. Geschadet hat es nicht. Schließlich überlegt er nun, selbst Lehrer zu werden. Der Schritt aber will gut überlegt sein. Deshalb erprobt sich der Engländer in dem Beruf - und zwar in Ibbenbüren.
"Ich dachte, die Züge führen hier regelmäßig und pünktlich - dabei ist es hier so viel schlimmer als in England. Also da habt ihr wirklich Probleme."
Connor Godsall muss beim Thema Deutsche Bahn laut lachen.
Grund zur Freude für die Goethe-Schüler, denn bei denen ist er momentan zwölf Stunden die Woche als Unterrichtsunterstützer im Einsatz. Connor arbeitet mit den Kindern an ihrer Aussprache, organisiert Gruppenarbeiten. Das kommt an. Man muss Connor einfach mögen. Er ist aufgeschlossen, freundlich, mit breitem Lächeln und souveränem Auftreten, der neben dem Unterricht auch noch zweimal wöchentlich bei der Osnabrücker Tafel arbeitet.
Der junge Mann kommt aus London, der mit 8,4 Millionen Einwohnern bevölkerungsreichsten Metropole Europas. Er studiert in England Geschichte und Germanistik, ist gerade im dritten Jahr und verbringt (das schreibt die Prüfungsordnung für Germanistik so vor) ein Jahr in Deutschland, um seine Sprachkenntnisse zu erweitern und den Lehrerberuf kennenzulernen. Und der gefällt ihm bislang recht gut, denn mit Lehrern und Schülern versteht er sich prima. Für Letztere ist Connor eine Mischung aus großem Bruder und englischem Cousin.
Während seines Aufenthaltes lebt er in einer Sechser-WG in Osnabrück. "Das ist super, weil ich so noch besser deutsch lerne", findet Connor. Sprachen liebt er, deutsch hat es ihm besonders angetan. Kurios (und vielen Schülern völlig unverständlich): Connor hat ein Faible für die grammatikalischen Endlos-Konstruktionen, für die unsere Sprache berüchtigt ist. "Am besten ist ein Satz, an dessen Ende vier Verben stehen", schwärmt er und lacht.
Was Connor hervorhebt, sind die krassen Unterschiede zwischen deutschen und englischen Schulen. In Deutschland müsse man irre früh aus den Federn, um püünktlich zum Unterrichtsbeginn zu kommen. Das ist in England entspannter. Aber dafür geht es dort bedeutend strenger zu.
"Letzents wurden 200 Schüler heimgeschickt, weil sie die falsche Schuluniform trugen. Bei einem Regelverstoß muss man auch am Samstag stundenlang nachsitzen", erzählt Connor Und wenn man richtig üblen Mist gebaut hat - in England kann es dazu schon reichen, ein ausgeschaltetes Handy mit in die Schule zu nehmen - muss man sogar in den Ferien nachsitzen. "Egal, ob die Eltern bereits Urlaub gebucht haben, oder nicht", sagt Connor. Liegt mitunter daran, dass die Schulen sich ihren Eleven aussuchen können. Man muss sich richtig um einen Platz bewerben, zum Teil haben die Schulen lange Wartelisten.
Ein Minuspunkt am englischen Fremdsprachenuterricht sei allerdings, das "fast nur englisch gesprochen wird". Hier hingegen versuche man, nur in der unterrichteten Sprache zu kommunizieren: "In der 6. Klasse sind die deutschen Schüler schon so gut! Ich bin immer wieder überrascht, wie gut sie Wörter erklären können - und das mit 13 Jahren." Connors Fazit: "In England sind die Schüler vielleicht disziplinierter, dafür übernimmt man hier mehr Eigenverantwortung."

IVZ vom 04.12.2014
Autor: Andrea Bracht